jeudi 4 décembre 2014

Unsere Novelle

Nächster Halt Wahrheit

LSD. So heißt es. Genauer gesagt, so hieß es, das Viertel. So hieß es früher. Lychener-, Schliemann- und Dunkerstrasse. Hier um den Helmholzplatz. Auf dem stand früher der große Brennofen. In ihm wurden die Ziegel für das entstehende Viertel gebrannt. Hinter den anfangs grauen Fassaden zeigte sich der Erfindergeist der Bewohner: bemalte Hausflure oder Buddelkästen unter Hopfenstauden in den Hinterhöfen. Die Trennmauern hatte man niedergerissen, um die engen Höfe zu vergrößern. Manchmal gab es eine selbstgefertigte Skulptur dazu, wie auf dem Hirschhof mit dem kleinen Theater. Der liegt jedoch schon jenseits der Schönhauser Allee.   
Es ist morgens. Sarah muss zur Arbeit und ist müde. Sie geht die Schliemann-Strasse vor bis zur Stargarder. Jeden Tag. Immer die gleiche Zeit. Immer der gleichen Weg. Erst bis zur Pappelallee und dann weiter bis zur Schönhauser. Da ist die U-Bahn-Station. Gerade durchlärmt eine U-Bahn knatternd die Häuserschlucht vor Sarah auf der Hochbahnstrecke. Es ist die Bahn Richtung Pankow. Die andere, in der entgegengesetzten Richtung, wird auch gleich kommen. Sarah muss sich beeilen.
Es ist kurz vor neun, als sie in der U2 sitzt.
Die U2 von Pankow nach Ruhleben. Einmal durch die ganze Stadt. Vom Norden in die Mitte und dann immer nach Westen. Aus dem Bezirk der Villen und Botschaften, durch den einst so proletarischen Prenzelberg. Unter dem Alexanderplatz hindurch, dessen Wiederaufbau nach dem Krieg das Bild einer modernen Stadt der 60iger Jahre verkörpern sollte. Mit seiner Kongresshalle, dem Warenhaus und der Weltzeituhr, ein bisschen vielleicht wie Oscar Niemeyers Brasilia. Auf dem Alexanderplatz erlebte schon Franze Bieberkopf sein blaues Wunder. Dann, der Potsdamer Platz. Er wurde von unterbezahlten Schwarzarbeitern aus Polen und Rumänien wieder neu aufgebaut. Hier findet man sogar einen Berliner Walk of Fame. Die Bahn fâhrt dann durch das reiche Charlottenburg am Zoologischen Garten und an der Deutschen Oper vorbei bis nach Spandau. Sein so wenig ruhmreiches Olympiastadion von 1936 ist ganz in der Nähe...

Noch fünf Stationen und Sarah sitzt an ihrem Schreibtisch. Heute ist sie mal wieder spät dran, aber in der Werbeagentur BC Media kommt es ja nicht auf fünf Minuten an. Hauptsache möglichst lange am Schreibtisch sitzen, darauf wird geachtet. Darin ist sie inzwischen Profi. Das hat Herr Zulauf auch schon gemerkt. Schön einschleimen bei diesem eingebildeten Schnösel, dann hat sie auch eine Chance im Laden zu bleiben. Sie kramt in ihrer Handtasche auf der Suche nach ihrem rosa Lippenstift, Chanel n°17, passend zu ihrem neuen Nagellack. Signalfarben sind wichtig im Kampf um die Aufmerksamkeit des Chefs. Die blöden Hühner aus der Verkaufsabteilung gilt es auszustechen. 



Der Sprecher im U-Bahn-Wagon kündigt an: “Nächster Halt : Eberswalder Strasse”


Zwei Anrufe in Abwesenheit auf ihrem Handy. Natürlich von Lisa. Das Handy vibriert erneut und Lisas Name wird angezeigt.

“Hallo Lisa !

Hallo Sarah, ich mach’s kurz, aber ich muss dir unbedingt was erzählen…”
Stimmt ja, Lisas gestriger Abend mit ihrer letzten Meetic-Eroberung. Ihre Freundin klingt hochbegeistert. Das ist der Richtige, Sarah, meint sie, das Warten auf den Traumprinzen hat sich endlich ausgezahlt. Sarah guckt sich die Fahrgäste gelangweit an. Ihr Blick bleibt bei einem Mann mittleren Alters hängen. Wie sieht der denn aus ? Mit seinem ollen Trainingsanzug aus Ballonseide und seinen Dreadlocks, der ist wahrscheinlich auf dem Weg zum Arbeitsamt. “Don’t worry, be happy”, das ist bestimmt die Lebensphilosophie dieses Bob Marley-Verschnitts...und ich quäle mich von Praktikum zu Praktikum.
“Er macht Karriere” schwärmt Lisa ins Telefon. “Er hat eine Internet Start-Up gegründet und damit Riesenerfolg...,sogar der Spiegel hat letztens einen Artikel über ihn geschrieben, stell dir vor! “Ein Beispiel gelungener Integration” war glaub ich der Titel.” Aha. Ganz anders als der Bob Marley im Trainingsanzug also, der gerade eine zerknitterte Comic-Zeitschrift aus seinem Rucksack herausfischt. “Und was gibts Neues bei dir?” fragt Lisa. “Nichts besonderes, ich sitze in der U-Bahn. Was hier für Leute rumlaufen! Du glaubst es nicht! Mir sitzt so ein komischer Typ gegenüber…” 

Lästern, ihre Lieblingsaktivität, damit kann sie mit Lisa Stunden verbringen. Sie beschreibt wie gewohnt ihr heutiges Opfer bis ins kleinste Detail, die Rastas, in denen rote Perlen eingeflochten sind, der grünfarbige Trainingsanzug, das gelbe T-Shirt, das darunter zum Vorschein kommt, die zerfledderte Comic-Zeitschrift, der silberne Ring an seiner linken Hand…”Bestimmt so ein Hartz-4 Empfänger, der den ganzen Tag seinen Reggae hört, während wir wie die Deppen ackern müssen.” Am anderen Ende der Leitung ist Stille. “Hey Lisa, bist du noch dran?” Klick. Das Freizeichen ertönt. Seltsam.

“Nächster Halt : Alexanderplatz”

Sarah erhebt sich mit den anderen Fahrgästen. Die Türen springen auf, jetzt aber schnell, los weiter Rasta Man. Jetzt bleibt er auch noch mitten auf dem Bahnsteig stehen. Wie passend...Zeit muss er ja genug haben...Zur Seite mit dir! “Huch, 'tschuldigung!” Beim Anrempeln fällt dem Mann das Lesezeichen aus seinem Comic. Sara bückt sich, um es aufzuheben und traut ihren Augen kaum. Zu sehen ist der Mann in Begleitung einer hübschen jungen Frau. Sie sehen sehr verliebt aus.
Er und Lisa.

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